EuGH: Airlines müssen finanziellen Ausgleich auch bei Flugannullierungen wegen unerwarteten technischen Problemen zahlen

von Kai-Julian Folkerts

Im Falle der Annullierung eines Fluges ist das Luftfahrtunternehmen nach der europäischen Verordnung Nr. 261/2004 verpflichtet, den betroffenen Fluggästen Betreuungs- und Ausgleichsleistungen (je nach Entfernung zwischen 250 und 600 Euro) zu erbringen. Es ist allerdings dann nicht zu einer solchen Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.


In dem vom EuGH behandelten Fall hatte die Klägerin ein Flugticket für einen Flug von Quito in Ecuador nach Amsterdam gebucht. Das Flugzeug landete in Amsterdam mit einer Verspätung von 29 Stunden. Nach Angaben des Luftfahrtunternehmens war die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände, nämlich eine Kombination von Mängeln zurückzuführen: Zwei Teile, die Kraftstoffpumpe und die hydromechanische Einheit, seien defekt gewesen. Diese Teile, die nicht verfügbar gewesen seien, hätten per Flugzeug aus Amsterdam geliefert werden müssen, um sodann in das betreffende Flugzeug eingebaut zu werden. Die Airline wies ferner darauf hin, dass bei den defekten Teilen die durchschnittliche Lebensdauer nicht überschritten gewesen sei. Auch habe deren Hersteller keinen spezifischen Hinweis gegeben, der darauf hindeutete, dass bei diesen Teilen ab einem bestimmten Alter Mängel auftreten können.

Das mit der Sache befasste niederländische Gericht hat den EuGH um eine Vorabentscheidung ersucht. Es möchte wissen, ob ein technisches Problem, das unerwartet auftrat, das nicht auf eine fehlerhafte Wartung zurückzuführen und auch nicht während einer regulären Wartung festgestellt worden ist, unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" fällt und somit das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichspflicht befreit.

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass aus seiner Rechtsprechung hervorgeht, dass technische Probleme tatsächlich zu den außergewöhnlichen Umständen zählen können. Die Umstände im Zusammenhang mit dem Auftreten dieser Probleme könnten jedoch nur dann als "außergewöhnlich" eingestuft werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (NJW 2009, 347). So verhielte es sich nach Auffassung des Gerichtshofs unter anderem dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdecken würden, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen einen versteckten Fabrikationsfehler aufweisen, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches gelte auch bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen.

Da jedoch der Betrieb von Flugzeugen unausweichlich technische Probleme mit sich bringt, sähen sich Luftfahrtunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich solchen Problemen gegenüber. Im Hinblick hierauf könnten technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als solche keine "außergewöhnlichen Umstände" darstellen. Sodann weist der EuGH darauf hin, dass ein Ausfall, der durch das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs hervorgerufen wurde, zwar ein unerwartetes Vorkommnis darstellt. Dennoch bleibe ein solcher Ausfall untrennbar mit dem sehr komplexen System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, das vom Luftfahrtunternehmen oft unter schwierigen oder gar extremen Bedingungen, insbesondere Wetterbedingungen, betrieben wird, wobei kein Teil eines Flugzeugs eine unbegrenzte Lebensdauer hat. Daher sei dieses unerwartete Vorkommnis im Rahmen der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit, und das Luftfahrtunternehmen sehe sich dieser Art von unvorhergesehenen technischen Problemen gewöhnlich gegenüber.

Im Übrigen sei die Vorbeugung eines solchen Ausfalls oder der dadurch hervorgerufenen Reparatur, einschließlich des Austauschs eines vorzeitig defekten Teils, vom betroffenen Luftfahrtunternehmen zu beherrschen. Es sei seine Aufgabe, die Wartung und den reibungslosen Betrieb der Flugzeuge, die es zum Zweck seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten betreibt, sicherzustellen. Folglich könne ein technisches Problem wie das in Rede stehende nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" fallen. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof ferner darauf hin, dass die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen unbeschadet des Rechts des Luftfahrtunternehmens zu erfüllen sind, bei anderen Schadensverursachern, wie insbesondere dem Hersteller bestimmter defekter Teile, Regress zu nehmen.

EuGH , Urteil vom 17.09.2015 - C-257/14

Herr Rechtsanwalt Kai-Julian Folkerts steht Ihnen für eine weitergehende Beratung gerne zur Verfügung.

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